Montag, 12. Dezember 2016

Update aus Kirgistan- Die letzten Wochen im Schnelldurchlauf

Update aus Kirgistan





Die letzten Wochen im Schnelldurchlauf:

19. November -Ausflug zu den heißen Quellen:
  Eine kirgisische Freiwillige entführte uns deutsche Freiwillige nach Issyk Atta. Das könnte man als einen „kirgisischen Kurort“ bezeichnen. Das besondere an diesem Ort ist, das sich dort heiße Quellen befinden. So kam es also, dass wir mit eingefrorenen Haaren ins heiße Wasser hüpften während der Schnee auf uns herab rieselte.  Das Umziehen im Anschluss  war eine Qual!

25. November- Das Laternenfest :
 Mit vielen vielen Vorbereitungen, Proben, Bastelaktionen usw bereitete sich die Schule auf diesen Tag vor, an dem das große Laternenfest stattfand. Eltern und Familie der Kinder waren ebenfalls herzlich eingeladen (Es war jedoch sehr enttäuschend, wie wenig Eltern Zeit finden konnten ihre Kinder an diesem Tag zu unterstützen).  Das Fest begann mit einem kleinen Theaterstück, bei dem ich auch eine Rolle zugeteilt bekam. Es war in den Proben immer wieder sehr stressig für mich, den Schwall an russischen Erklärungen über die Handlung des Stückes zu verstehen.  Mit einigen Pannen überstanden wir dann das Stück (Ich musste als Vogel verkleidet fünfmal deutsche Laternenlieder singen). Im Anschluss passierte alles recht…“zackig“. Hektisch wurden die Tische gestellt, das Essen serviert „Kuschait-kuschait“ (esst esst!) gerufen. Keine 10 Minuten später zogen wir die Kinder an, gingen mit ihnen nach draußen, zündeten die Laternen an und liefen mit der ganzen Schule die Straße auf und ab, deutsche und russische Laternenlieder singend. Dann kamen auch schon die Busse, die die Kinder wieder nach Hause brachten und der ganze Hek-mek der letzten Wochen war mit einem Mal vorbei.  Nachdem wir alles aufgeräumt hatten, setzten die Mitarbeiter*innen und Freiwilligen sich noch einmal kurz zum Reste essen hin. Keiner war so richtig zufrieden mit dem Ergebnis des Festes und alle betonten, dass das „große Nowe god Fest“ (Neujahrs und Weihnachtsfest) besser und besser werden würde.

26.November- Arbeiten in der Wohngruppe:
 Neuerdings haben wir Freiwilligen die Aufgabe, einen Samstag  im Monat in der Wohngruppe zu arbeiten, in der einige Kinder unserer Schule gemeinsam leben. Viele von Ihnen leben dort Tag täglich, weil sie keine Familie mehr haben, oder die Eltern nichts mit ihrem Kind zu tun haben wollen.  Andere wohnen hier nur unter der Woche und werden am Wochenende von ihren Familien abgeholt.  Die Mitarbeiterinnen in der Wohngruppe sind allerdings so sehr mit kochen, putzen etc ausgelastet, dass neben diesen Tätigkeiten keine Zeit bleibt den Kindern die nötige Aufmerksamkeit und Geduld zu schenken.  Deshalb soll ich jetzt einmal im Montag  samstags dort hinkommen und mich mit den Kindern beschäftigen, ihnen einen besonderen Tag organisieren. Als ich am Samstag, den 26. November pünktlich um neun Uhr die Wohngruppe erreichte, wurde ich sofort in den Mädchen Schlafraum gescheucht. Da stand ich dann. In einem Raum in dem drei Mädchen und drei junge Frauen noch tief und fest schliefen. Verloren stand ich da und wartete darauf bis man mir eine Aufgabe zuteilte oder jemand aufwachen würde.  Als das dann nach einer Weile geschah, wollte ich mich nützlich machen indem ich Olga, einer schwerbehinderten Spastikerin beim anziehen helfen wollte. Ich stellte mich wohl nicht allzu geschickt an, denn zwei andere Mädels mussten mir ständig erklären was ich anders machen sollte. Aber woher soll ich denn auch wissen, dass erst die Arme und dann der Kopf in den Pulli gehörte?  Und woher soll ich wissen wie Olga gewöhnlich das Gesicht gewaschen und die Zähne geputzt  bekommt, wenn ich noch nie dabei zugesehen habe?  Beeindruckend während der ganzen Prozedur fand ich jedoch, wie gut Olga sich verständigen konnte und wie deutlich sie mir mitteilen konnte ob ich etwas falsch oder richtig machte. Außerdem halfen die weniger stark Behinderten Olga sehr viel und korrigierten mich, wenn ich etwas falsch machte.
Den Mittag verbrachte ich dann damit, den Bewohnern und Bewohnerinnen einen abwechslungsreichen Samstagmittag zu ermöglichen.  Doch bei der Suche nach Spielsachen musste ich bald feststellen, dass ich nicht viel zur Verfügung haben würde. Zwei Fußbälle waren alles was ich finden konnte. Dabei hätten die Kinder nichts lieber als eine Runde Uno gespielt. Es machte mich sehr betroffen zu sehen, dass die Bewohnenden ihre freie Zeit meistens nur am Handy verbringen können.  Nach zwei Stunden spielerischem Deutschunterricht gingen mir die Ideen aus. Keine Spielsachen, nicht mal Papier oder Stifte waren aufzutreiben. Letztendlich kam mir dann die Idee „Wer bin ich“ mit den Bewohnern zu spielen. Es war zwar sehr kompliziert auf Russisch zu erklären, wie das Spiel funktioniert, aber als wir erst mal mit dem Spiel begannen, haben wir so viel gelacht, dass ich gar nicht glauben konnte, dass es schon Zeit zu gehen war.  Ich habe diesen Mittag in der Wohngruppe sehr genossen und bin schon gespannt was ich die nächsten Male mit den Bewohnern und Bewohnerinnen erleben darf. Wenn jemand hierzu kreative Ideen hat- her damit! (Die Kommentarfunktion müsste mittlerweile eigentlich auch funktionieren..)

03.Dezember: Der dritte Dezember war der Tag der Menschen mit Behinderungen in Kirgistan. Aus diesem Anlass versammelten sich alle Mitarbeiter*innen von Ümüt-Nadjeschda auf dem großen Platz der Stadt, dem Ala-Too. Ausgerüstet mit Rollstühlen und einem Plakat auf dem übersetzt stand : „Wir sind genauso  Menschen wie ihr!“  zogen wir wie in einem kleinen Demonstrationszug auf den Platz, wo ein gedeckter Tisch mit Keksen, Tee und Borsok auf uns wartete. Es wurden natürlich jede Menge Fotos gemacht, viel mehr ehrlich gesagt aber auch nicht.

Die darauffolgende Woche war ich zunächst vollkommen ausgeknockt.  Mit hohem Fieber, Kopfschmerzen und einer fetten Nebenhöhlenentzündung lag ich tagelang im Bett, unfähig irgendetwas zu machen. In allen Bischkeker Schulen war in dieser Woche die Karantäne ausgerufen, was heißt, dass für die Schüler der Unterricht eine Woche ausfallen würde. Ich durfte die  Erfahrung machen zum ersten Mal in ein kirgisisches Krankenhaus zu gehen- und darauf hätte ich auch gerne verzichtet. Bevor man das Krankenhaus betritt, muss man über die Schuhe Plastiksocken anziehen. Sofort wurde ich mit Antibiotika und anderen Medikamenten eingehäuft und ohne mich groß zu Fragen wurde ich einer Prozedur unterzogen, zu der ich eine Woche lang jeden Tag kommen musste.  Auch wenn die Ärztin deutsch sprechen kann, war es für mich immer sehr befremdlich zu ihr zu kommen.  Ständig rannte sie zwischen mehreren Arztzimmern umher, behandelte mehrere Patienten gleichzeitig und ich hatte nie das Gefühl, dass sie mir in irgendeiner Weise zugehört hatte. Ich kam mir ein bisschen wie ein Produkt auf dem Fließband vor. In keinem Arztzimmer fand ich einen Computer vor.  Die Vorstellung mich hier röntgen zu lassen, so wie die Ärztin es eigentlich vorhatte, gruselte mir.
Ich kann jetzt nur hoffen, dass ich nicht allzu schnell wieder zum Arzt muss und freue mich schon richtig morgen endlich wieder bei meinen Kindern arbeiten zu dürfen. Das Krank sein, die Adventszeit, mein Geburtstag..all das machte mir zum ersten Mal ein bisschen Heimweh nach Deutschland und den gewohnten Dingen.  Aber wir geben hier alle unser bestes auch hier eine schöne Weihnachtszeit zu haben. Plätzchen haben wir schon ordentlich gebacken und letztes Wochenende war ein kleiner Weihnachtsmarkt von der deutschen Botschaft organisiert.

Ich sende euch allen ganz viel Gesundheit und hoffe ihr habt eine schöne Vorweihnachtszeit
Bis bald
Eure Lissa


Dienstag, 15. November 2016

Wo es keine Wege gibt, ist mein Weg der Richtige



Hallo ihr Lieben,
Lange habe ich nichts von mir hören lassen und das tut mir leid.  Aber mit jedem Monat den ich hier lebe scheint die Zeit schneller zu vergehen. Jede Woche ist schneller vorbei, als die vorherige-  gefühlt. Die Wochenenden hatte ich bislang hauptsächlich zum entspannen von der Arbeit und zum Blog schreiben, Kontakt nach Hause pflegen, oder das Bischkeker Nachtleben genutzt.  Die letzten drei Wochenenden jedoch waren gut gefüllt mit Ausflügen und Wanderungen. 

1.Buranaturm und Tokmak
Ich hatte schon befürchtet ich müsste mich wegen all des Schnees und der Kälte für die nächsten Monate in meiner Wohnung verkriechen und könnte jegliche Ausflüge oder Wanderungen erstmal vergessen- aber da habe ich nicht mit Kirgistans extremen Wetterschwankungen gerechnet.  Nachdem ich mich letzten Monat gut auf dem Basar mit dicken Wintersachen eingekleidet hatte und mich mental schon fast mit dem frühen Winter abgefunden hatte, machten die Gradzahlen nochmal eine Kehrtwende von -5 zu bis zu +18 Grad. Ideal für den Ausflug zum historischen Burana Turm und der nahe liegenden Stadt Tokmak, was ich schon seit längerem vor mir hergeschoben habe.
Um leicht aus Bischkek rauszukommen muss man sich einfach nur auf die Suche nach dem West-bzw wie in unserem Fall nach dem Ostbahnhof machen. Für mich war es das erste Mal, dass ich den Osten der Stadt Bischkek zu sehen bekam. Ich konnte kaum glauben, dass das immernoch das Bischkek war. Die ganze Atmosphäre wirkte auf mich wie ein vollkommen anderer Ort. Warum fällt mir schwer zu beschreiben. Besonders in Erinnerung gelieben ist mir vor allem ein orientalisch wirkender Bazar, in dessen Mitte sich einfach eine Moschee befindet. Während ich also meine Einkäufe erledigt habe, den Muezzin höre, sehe ich aus dem Augenwinkel wie einige Männer sich zum Beten hin knien, im meditativen Rhythmus wieder aufstehen-hinsetzen-aufrichten   und dabei vollkommen offensichtlich zu mir herüber starren. 
Am Bahnhof angekommen treffe ich meine Mit freiwilligen, die mich auf dem Ausflug begleiten. Eine große Gruppe touristisch ausschauender Mädchen(und ein Junge), das ist ein vielversprechendes Geschäft für die meisten Maschrutka Fahrer, die dort am Busbahnhof Ost auf Kundschaft warten. Also verhandeln wir ein bisschen und ruck zuck geht’s innerhalb einer Stunde Fahrtzeit  auf kirgisisch-ruckeligen Straßen zum Burana Turm. Der Burana Turm ist ein Mausoleum und als einziges Überbleibsel einer wichtigen antiken Stadt auch ein Touristenanlockendes Denkmal .
Als ich aus der Maschrutka den Turm zum ersten Mal erblicken kann muss ich lachen. Er sieht bei weitem nicht so spektakulär aus, wie von diversen Leuten und Reiseführern beschrieben. Dafür staune ich nicht schlecht, als ich mich die verdammt enge, flache und vorallem stockdunkle Wendeltreppe herauf quäle. So etwas würde es in Deutschland allein aus Sicherheitsgründen niemals geben,  denke ich noch, da erreiche ich schon den Ausgang und freue mich über die Aussicht.  Nach einer Stunde touristisch obligatorischem „umgucken“ und „total-interessiertem-rumlaufen“  überwiegt der Hunger und wir entscheiden uns eine Maschrutka nach Tokmak zu nehmen(15Km vom turm entfernt). Die Stadt wirkte auf mich derart trostlos und geisterhaft, dass wir nicht mal eine Möglichkeit zum Essen finden konnten und letztendlich nach langem rumfragen und suchen mit leerem Bauch zurück nach Bischkek fahren mussten.

2. Manassozialdorf und wie ich zum ersten Mal eine Kuh gemolken habe
Nachdem Wochenende in Tokmok erfuhr ich sehr spontan, das wir ein langes Wochenende haben würden, da Montag Feiertag wäre. Kurzerhand entschieden meine Mitbewohnerin Diana und ich uns also unsere deutschen Mit freiwilligen auf dem Land zu besuchen und den Bergen mal wieder näher zu kommen.  Das Manassozialdorf, ist wie in einem früheren Blogeintrag erwähnt eine Lebensgemeinschaft, in der Menschen mit Behinderung ein betreutes gemeinschaftliches Leben führen. Außerdem wird seit kurzer Zeit eine eigene Landwirtschaft aufgebaut.
Für gerademal 55 Som (75 cent) kamen wir mit einer Maschrutka bis Murake, dem winzigen Dörfchen, in dem sich die Wohngemeinschaft „Manas“ befindet (eine gute Stunde von Bischkek entfernt). Sehr herzlich wurden wir von den Betreuten dort empfangen. Wenig später spazierten wir mit zwei der Betreuten und einer Freiwilligen in der Wohngemeinschaft  durch die Dorflandschaft. Russlan, ein Betreuter, der jeden im Dorf kennt und den Kontakt stetig pflegt ließ es sich nicht nehmen von seinen paar Som, die er in der Hosentasche hatte drei Kaugummis zu kaufen, die er uns schenkte- für ihn selbst hatte es nicht mehr gereicht. Dieses Geschenk war derart authentisch und herzlich, dass ich es so schnell wohl nicht vergessen werde. Alle Menschen, die wir auf dem Weg trafen, kannten Russlan und waren sehr neugierig auf uns drei Deutsche. Drei Frauen schenkten uns Nüsse und Kekse, ein Mann versuchte vergeblich uns Drogen anzudrehen und eine Mitarbeiterin der Lebensgemeinschaft lud uns spontan zu Tee ein.  Pünktlich um 18 Uhr mussten wir jedoch zurück sein, um die Kühe zu melken. Ich ließ mir von Russlan erklären was ich zu tun habe und gab mein bestes um wenigstens ein achtel des Eimers zu füllen- DEFINITIV NICHT EINFACH! !  Anschließend wurde gemeinsam zu Abend gegessen, was ebenfalls in einer sehr gemütlich familiären Atmosphäre stattfand.
Am nächsten Morgen war ich dann erst einmal durchgefroren- und das trotz Schlafsack, drei Pullis, Dicker Hose, Strümpfen und Mütze!
Nach einem gemeinsamen Frühstück, dass zwar sehr bescheiden, aber dafür mit frischer, selbstgemolkener Kuhmilch eingenommen wurde, wollten wir (Diana Lena und ich) zügig zum Wandern in die Berge aufbrechen. Ohne große Probleme fanden wir eine Mitfahrgelegenheit ins „Outback“. Da standen wir also: Rechts, links und vor uns nichts als schneebedeckte Berge. Fröstelnd und etwas orientierungslos liefen wir dann einfach mal drauf los. Gar nicht so einfach, wenn man noch die ausgeschilderten Wanderwege aus dem Odenwald gewöhnt ist, sich ohne weiteres darauf einzulassen ohne Wege, ohne Menschen weit und breit wild drauf los zu laufen. Andererseits war es auch sehr befreiend zu wissen, dass man den Weg voll und ganz selbst bestimmen kann. Für uns war nur klar: NACH OBEN! So wurde das laufen bald zum kraxeln und das kraxeln stellenweise zum klettern.  Die eisige Kälte vom Anfang war bald vergessen, als wir schwitzend und außer Atem den Bergkamm erreichten. Ein unbeschreibliches Gefühl:  rechts und links den bergigen Abgrund zu erblicken, Kilometer weite Ferne, und vor allem weit und breit keine Spur von Menschen. (auf dem Rückweg trafen wir zugegebener maßen einen Hirten, der in einer Hütte in den Bergen wohnt..)  Abends kamen wir mit Bergluft gefüllten Lungen, und einer Erinnerung an wundervolle Menschen zurück nach Bischkek, wo wir uns mit dem deutschen Vizebotschafter zum Essen gehen trafen- WAS EIN WOCHENENDE!


3.) In 20 Minuten out of Bischkek
Ich verlasse das Haus, nehme eine Maschrutka, fahre 20 Minuten- bis zur Endstadion- und bin raus aus dem Plattenbau-Smog-Ambiente!  Wieder eine kleine Wanderung- auf so einfache Weise, fernab von jeglichen Wegen: Einfach nur laufen, wohin es mich treibt. So bekomme ich erneut eine wunderschöne Aussicht, sowie das Gefühl meine eigenen Wege, frei von vorgefertigten Trampelpfaden, gehen zu können.  Es fühlt sich gut an zu wissen, wie schnell ich der Stadt und den Menschenmassen entfliehen kann- denn Bischkek ist definitiv größer und überfüllter als ich mir in Deutschland ausgemalt hatte.




Nun ist der Artikel sehr lang geworden und ich hoffe euch nicht damit gelangweilt zu haben. Ich möchte nochmal anmerken: Ich kann nicht über alles im Detail schreiben. Ich versuche euch nur einen guten Eindruck von meinem Leben hier zu vermitteln und möchte betonen, dass sich meine Beiträge auf persönliche Wahrnehmung meinerseits beziehen und keinesfalls als allgemeingültige Tatsache gewertet werden kann.   
Morgen wird’s  übrigens wieder kalt..diesmal meint es der Winter dann wohl ernst…

Vielen Dank fürs Lesen und Unterstützen und Ganz liebe Grüße
Eure Lissa!


Samstag, 22. Oktober 2016

Ein sehr früher Winter, eine wärmende Gastfreundschaft und „shoppen auf Kirgisisch“



Ein sehr früher Winter, eine wärmende Gastfreundschaft und „shoppen auf Kirgisisch“

„Der Herbst der Herbst der Herbst ist da!“, sang ich noch vor einer Woche mit meiner Klasse auf einem Schulfest. Und auch im Morgenkreis singen wir ständig von den goldenen Herbstfarben und wie bunt die Blätter sind. In der Realität gibt es diesen Herbst nicht. Beziehungsweise er war nach zwei Wochen wieder vorbei. Jetzt schneit es oft und die Temperaturen schwanken immer wieder um die null Grad  plus, minus.  Ich war durchaus auf einen sehr kalten Winter eingestellt, aber dass ich bereits Mitte Oktoberr in meinen dicksten Jacken friere, hat mich dann doch sehr überrascht. Deshalb war ich heute Wintersachen kaufen- auf kirgisische Art: Auf einem der größten asiatischen Kleiderbasare, dem Dojdoj Basar. Man hat beinahe das Gefühl man befinde sich in einer eigenen Stadt. Riesige Hallen voll mit Containern bieten sowohl für den privaten Einkauf, als auch für Sammelkäufe von Großhändlern, größtenteils aus Kasachstan angereist, eine breite Auswahl.  Bei ungefähr null Grad habe ich zwar einerseits nicht wirklich Lust die Dinge anzuprobieren, die ich kaufe, fühle mich aber durch die Kälte gleich doppelt bestärkt in dem Gefühlt dicke Pullis, Handschuhe und Mützenunbedingt zu brauchen -Keine schlechte Geschäftsidee. Immer wieder muss man Männern ausweichen, die Schubkarren voll mit Ware durch die eh schon sehr engen Gänge ziehen, ausweichen. Hört man nicht rechtzeitig den kirgisischen Ruf für „Aus dem Weg!“, fährt der Karren eben über meine Füße und ich lande in einem nebenstehenden Kleiderständer.  


Trotz der derzeitigen Kälte und einigen Krankheitsfällen, die mich letzte Woche überfielen, geht es mir hier richtig gut. Besonders die Gastfreundschaft, die ich immer wieder erfahren darf, macht die Kälte des Winters wieder vollkommen wett.  Letztes Wochenende war dieses Erlebnis ganz besonders intensiv. Drei Mitfreiwillige und  ich waren bei der Köchin des Janosz-Korzack Zentrums (die Werkstatt der Schulabsolventen) zum Essen eingeladen.  Nach dem uns der elf jährige Sohn zum Haus geführt hat wurden wir mit Küsschen und einer herzlichen Umarmung von der Gastgeberin begrüßt. Die Tochter, die etwa in unserem Alter ist und derzeit studiert, bediente uns durchweg mit Tee. Kaum hatte man eine Tasse leer getrunken, so wurde nachgeschenkt. Während das „Blof“  (die Paella Kirgistans) von der Tochter fertig auf dem Gasherd fertig  zubereitet wurde, bekamen wir von Mutter, Vater und Sohn stolz die Tiere gezeigt.  Wir staunten nicht schlecht über den Stall im Garten, der 4 Schafe, mindestens 15 Hasen und einen Hund, der sich für ein Schaf hält, beinhaltet.  Nach und während dem Essen haben wir uns so gut es eben ging auf Russisch unterhalten. Immer wieder wurde betont, dass wir wieder kommen müssen und, dass wir jetzt ein Stück weit zur Familie gehören. Beim Abschied wurde jedem von uns eine Tüte Essen in die Hand gedrückt , wir wurden auf die Stirn geküsst und umarmt, bis uns ein älterer Sohn mit dem Auto nach Hause fuhr.  
In meinem Empfinden kann ich keinen besseren Einblick in die Kultur Kirgisiens bekommen als über Begegnungen wie diese. Denn während ich auf der einen Seite beobachte, wie die Frauen immer wieder in die Hausfrauen und Bedienerinnen Ecke erzogen werden, wie Frauen, die Ende zwanzig immer noch nicht verheiratet sind von der Familie unter Druck gesetzt werden, oder einfach von vornerein durch die Eltern verheiratet werden,  so sehe ich doch auch, dass die Familien hier eine ganz andere Bedeutung haben, als ich es von den deutschen Verhältnissen gewohnt bin. Dass Familie hier eine Art Altersvorsorge ist, sowie ein fester Verbund der an aller erster Stelle steht. Natürlich bin ich erst zwei Monate hier und kann mir noch lange kein Urteil über die hiesigen Strukturen oder die Kultur bilden, sondern nur meine persönlichen Wahrnehmungen und Eindrücke schildern. Und letztendlich bleibt für mich die Frage noch offen, ob es überhaupt das Ziel sein soll, ein finales Urteil zu fällen. Im Moment gefällt es mir einfach sehr gut, die Menschen, die Sprachen, die Landschaft, die Traditionen, die Feste, die Abläufe und Strukturen usw. ,zu beobachten und zu versuchen mich dabei ein Stück weit einzugliedern ohne meine Wertevorstellungen oder mich selbst dabei  zu unterdrücken.
Ich möchte also abschließend nochmal betonen, dass ich froh bin genau an diesem Ort gelandet zu sein, die Menschen zu treffen, die ich hier treffe und mit jedem Tag mehr sprechen und verstehen zu können.

Samstag, 8. Oktober 2016

Привет и салам дороги дуризей



Привет  и салам дороги дуризей

Nun bin ich schon seit fünfeinhalb Wochen weg von zu Hause. Obwohl die Zeit hier rasend schnell vergeht ist Deutschland bereits weit weit, weit entfernt für mich. Das ist auch einer  der Gründe warum ich meinen Blog länger nicht aktualisiert habe. Es ist einerseits manchmal gar nicht so einfach gleichzeitig voll und ganz „dort“ sein zu wollen und dennoch mit halben Kopf  an „Zuhause“ zu denken. Außerdem bleibt mir unter der Woche so wenig Zeit all die Dinge zu erledigen, die anstehen oder auf die ich einfach nur Lust habe. Denn Arbeit und anschließend Sprachkurs nehmen unter der Woche den ganzen Tag ein. Eigentlich wollte ich dieses Wochenende nutzen um endlich mal wieder raus aus der Stadt zu fahren und frischere Luft zu atmen und beim Wandern den Kopf frei zu bekommen. Aber mit dem Herbst, der schlagartig letzten Montag eingebrochen ist, kam auch meine erste Erkältung. Meine Energie, die durch die durch und durch anstrengende Arbeitswoche bereits enorm gering war, ist dadurch vollends zu neige gegangen und ich muss das Wochenende zu Hause verbringen. Es ist für mich noch sehr schwer mit meinen Kräften zu haushalten, da ich natürlich die wenig verbleibende freie Zeit voll und ganz ausnutzen möchte. 

In meiner Klasse wurde es die letzte Zeit ein wenig stressiger. Der Auslöser dafür: Die Assistentin der Lehrerin kommt nicht mehr, weil ihr Ehemann es ihr nicht mehr erlaubt…Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen!  Aber auf die gender roles hier werde ich in einem separaten Eintrag noch einmal eingehen. Folglich fallen die Aufgaben der Assistentin, wie etwa Tisch decken, Geschirr spülen, Essen zubereiten oder in der 5 Minuten entfernten Schule abholen, putzen, Pampers wechseln, füttern uvm, auf mich zurück. Deshalb arbeitet jetzt Kristina, die ein Praktikum für drei Monate in Ümüt-Nadjeschda macht, auch in meiner Klasse. Kristina spricht schon viel mehr russisch als ich, was mir einerseits beim Übersetzen eine große Hilfe ist. Andererseits wird jetzt für alle Beteiligten nochmal verdeutlicht wie schlecht die Kommunikation mit MIR funktioniert.  Auch der Deutschunterricht, den ich zu geben versuche, frustriert mich derzeit ein wenig.  Es ist einfach so schwer mit meinen russisch Kenntnissen deutsche Grammatik zu unterrichten. Außerdem müsste ich die Gruppe eigentlich in drei Gruppen unterteilen, da die Lernstärken dermaßen unterschiedlich sind, das es unmöglich ist, den Mädchen die gleichen Aufgaben zu geben.  Dennoch bin ich mir bewusst, dass ich durch meinen Unterricht (mind. Zweimal wöchentlich) Elisa (die Klassenlehrerin) sehr entlaste, die derzeit sehr unter Stress steht. Derzeit studiere ich auch ein deutschsprachiges  Herbstlied mit allen ein, das wir am Herbstfest im Oktober vorsingen werden. An den Tagen an denen ich keinen Deutschunterricht gebe kümmere ich mich in der Zeit, während Elisa unterrichtet um zwei Jungs. Kristina und ich müssen immer wieder feststellen wie schwer es für die beiden ist zu Zählen und ein Verständnis für Menge zu haben, Zahlen zu  schreiben und zu erkennen, Buchstaben zu schreiben und zu erkennen etc.  -Dinge die für uns ganz einfach und selbstverständlich sind..
Ganz kurz zum täglichen Ablauf:
Der Tag beginnt immer mit einem gemeinsamen Morgenkreis in der Schule, bei dem alle Klassen anwesend sind. Anschließend laufen bzw. rollen wir, die Werkoberstufe, zu unserer Klasse, die wie bereits erwähnt ein paar Minuten Fußweg von der Schule entfernt ist. Dort beginnt der Tag mit Kunstunterricht und einem anschließenden Frühstück. Darauf folgt dann der Hauptunterricht. Nach dem Mittagessen bleibt dann noch eine gute Stunde, die die Schüler*innen im Garten verbringen. Die Lücken des Tages füllen sich mit den oben genannten Aufgaben, die früher  größtenteils von der Assistentin übernommen wurden.  

Ich hoffe ihr habt einen ersten groben Einblick in meine Arbeit bekommen.
 Bei Fragen schreibt mir gerne eine E-Mail oder einen Kommentar.

Ich sende euch ein bisschen von unserer wunderschönen Herbstsonne und den mittlerweilein weiß gefärbten Berggipfeln, die ich jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit sehe.


Пока Пока
Eure Lissa!


Donnerstag, 22. September 2016

Angekommen




Ich sitze in diesem Moment auf der Fensterbank in meiner neuen Wohnung, blicke aus dem Fenster auf einen kleinen Garten, trinke einen anrühr  Kaffee, an den ich mich langsam gewöhnt habe, und fühle der Anstrengung des Tages und der letzten Woche nach. Es ist ein gutes Gefühl von Anstrengung. Es ist das Gefühl, einer Arbeit nachgegangen zu sein, die mich erfüllt. Und da ist noch eine Gefühlsregung die mich überkommt, wenn ich aus dem Fenster schaue: Ich bin angekommen. Vielleicht noch nicht zu Hundertprozent, aber jetzt habe ich das Gefühl zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, ein Jahr lang hier ein richtig schönes Leben führen zu können und hier zuhause zu sein.  Aber der Reihe nach..
Vorletzter Montag war mein erster Arbeitstag. Ich arbeite in der Werkoberstufe, mit Jugendlichen, die nicht viel jünger oder älter als ich sind. Dort habe ich drei Kinder zugeteilt, auf die ich besonders achten muss und denen ich bei Tätigkeiten wie essen/füttern helfen soll. Außerdem soll ich mehrmals die Woche Deutschunterricht geben. Das jedoch ist aus zwei Gründen sehr schwer: Zum einen ist es mir noch ein Rätsel wie ich mit den Kindern kommunizieren soll ohne russisch sprechen zu können. Viel schwerer jedoch ist für mich die Tatsache, dass die Klasse derartig bunt gemischt ist, bezüglich des Schweregrades der Behinderung. Da wäre zum Beispiel ein 19 jähriges Mädchen, der schlicht und einfach nur die Beine fehlen und ansonsten genauso eine junge Erwachsene ist wie ich es bin.  Im Kontrast dazu gibt es auch einige, die  gefüttert werden müssen, nicht malen geschweige denn schreiben oder lesen können.  Gar nicht so leicht für alle eine angemessene Art zum Lernen und Beschäftigen zu finden.
Die Arbeitswoche wurde Donnerstag jedoch unterbrochen, weil in der Schule ein mehrtägiges Seminar für die Lehrer*innen stattfand. Dafür mussten wir drei Tage ins Janosz-Korcak Zentrum, eine Werkstatt für Erwachsene mit Behinderung. Dort durften wir eine richtige Praktikanten Aufgabe erfüllen: Ausmisten, Aufräumen, Putzen. Aber dennoch war es sehr schön einen Einblick in die Vielseitigkeit unserer Einrichtung zu bekommen.  
Am Sonntag bin ich dann tatsächlich umgezogen. Die Unterkunft im Kindergarten am Stadtrand war durchaus nicht schlecht. Dennoch konnte ich mich dort nie richtig zuhause fühlen. Zum einen ist der Weg zur Arbeit und zum Stadtzentrum sehr sehr lang. Man hat kaum die Möglichkeit abends in die Stadt zugehen, was es erschwert Leute kennen zu lernen. Außerdem müssen wir uns dort an einige Regeln halten, und können Küche und Bad nur nutzen, wenn die Kinder weg sind (bis acht Uhr morgens und ab halb sieben abends und am Wochenende). Zum Anderen steht der Winter in einem Monat an, und dort gibt es wenn nur eiskaltes Wasser und auch das Plumpsklo ist nicht sonderlich wintertauglich. Zwei von uns vier wohnen nun weiterhin da, während ich und eine Mitfreiwillige uns ein Zimmer in einer sehr schönen WG mitten in der Stadt teilen. Unser Mitbewohner ist ein Student aus der Türkei, der immer gute Laune in der Wohnung verbreitet. Ab Oktober wird noch ein Franzose einziehen.
Montag arbeiteten wir ein letztes Mal im Korcak Zentrum und Dienstag fuhren wir zu einer dazugehörigen Camp Hill Einrichtung, wo zwei weitere Freiwillige aus Deutschland arbeiten. Nach eineinhalb Stunden Fahrt auf sehr ruckeligen „Straßen“ kamen wir im Manas Sozialdorf an. Mit anderen Worten mitten im nichts steht ein Kuh- und Schafstall, sowie drei Häsuer, der Wohnraum für ca 16 Erwachsene mit Behinderung und zwei Freiwilligen Mädchen aus Deutschland. Ein Camphill ist eine Wohngemeinschaft, in der die Menschen mit Behinderung  mit denjenigen ohne Behinderungen zusammen leben und arbeiten. In diesem Fall jedoch wohnen nur die Freiwilligen dort, während die anderen Mitarbeiter morgens kommen und abends gehen.  Der Arbeitstag der Freiwilligen dort beginnt morgens mit dem Anziehen der Betreuten und endet nach dem Abendessen um acht. Dagegen kommen mir meine sieben Stunden Arbeit am Tag sehr wenig vor. Auch meine Lebensverhältnisse kommen mir nun sehr luxoriös vor. Dort gibt es gar kein fließendes Wasser und das Duschen ist dementsprechend sehr kompliziert.  Auch wenn die Landluft deutlich besser ist bin ich sehr zufrieden mit meinem derzeitigen Bischkek-Stadtleben, zumal das Großstadtleben noch etwas sehr aufregendes und neues für mich ist und ich außerdem am Wochenende zum Wandern aufs Land fahren kann.
Mittwoch und Donnerstag (heute) war ich dann endlich wieder in meiner Klasse.  Ich habe viel mit den Jugendlichen gesungen und so werden wir morgen bei einer Art Schulfest „Bruder Jakob“ auf Deutsch, Englisch und Französisch vorsingen. Es ist jedes Mal ein wunderschönes Gefühl mit den Kindern zu singen, in ihre begeisterten Gesichter zu schauen und sie zum Lachen zu bringen. Selbst nach den paar Tagen habe ich alle so sehr in mein Herz geschlossen!
Der einzige Stoßdämpfer ist nach wie vor die Sprache. Obwohl ich jetzt dreimal wöchentlich in die Sprachschule gehe wo ich Einzelunterricht in Russisch bekomme, habe ich noch keine Chance zu verstehen was die Kinder oder die Lehrer mir erzählen und kann mich ebenso wenig mitteilen oder Fragen stellen, was für mich sehr schwer ist, da ich, wie einige wissen, immer viele Fragen habe ;-) Hinzu kommt natürlich, dass in diesem Land zwei Sprachen anerkannt sind. So muss man sich auf dem Bazar zum Beispiel auf Kirgisisch durch fragen, während in der Schule hauptsächlich russisch gesprochen wird. Zwei komplett unterschiedliche Sprachen- wo soll man da nur anfangen?


Ich hoffe es geht euch allen soweit gut, bei Fragen schreibt mir einfach eine Mail,
Ganz liebe Grüße aus meiner Wohnung in Bischkek,

Eure Lissa